Bei über 30.000 Einsätzen schalteten Guido und seine Kollegen seit der Gründung im Jahr 2014 einen Telenotarzt von umlaut hinzu. „Die Leitstelle schickt uns vor allem zu Einsätzen, die dem ersten Anschein nach nicht zwingend einen Notarzt vor Ort brauchen. So ist dieser bei einem zeitgleich passierenden Notfall bei dem der Notarzt vor Ort gebraucht wird nicht blockiert.“ Eine klassische Anamnese dafür ist das Akute Koronarsyndrom (AKS) – ein Spektrum von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Oder eine Nierenkolik. „Da musste früher immer ein Notarzt hin. Wenn alle blockiert waren, wurde im Nachbarkreis angerufen. Heute machen wir das in der Regel mit dem Telenotarzt“, sagt Guido.
Wie bei "Notruf California"
Im Ruheraum auf der Wache liegt das Buch „De reis van mijn leven“ von Radio-Ikone Lex Harding aus den Niederlanden. Guido spricht fließend Niederländisch und liest gerne zwischen den Alarmen, sofern es möglich ist. „Die Reise meines Lebens – das ist eine schöne Geschichte über einen Vater, der erstmals lange Zeit mit seinen erwachsenen Söhnen verbringt. Ich bin seit 29 Jahren im Rettungsdienst, der Titel passt also gut“, sagt Guido. Er fuhr einige Jahre ehrenamtlich im Rettungsdienst, ehe er 1998 hauptberuflich als Rettungsassistent einstieg. Es folgte die Weiterbildung zum Lehrrettungsassistenten, um Kollegen im Dreiländereck Benelux ausbilden zu können. Mit der Novellierung des Berufsbilds zum Notfallsanitäter machte Guido 2019 die Ergänzungsprüfung. „Damit habe ich die aktuellen rettungsdienstlichen Ausbildungen absolviert“, sagt er.
Im Simulationszentrum Aixtra der Uniklinik RWTH Aachen kam Guido 2006 erstmals mit dem Telenotarzt in Berührung. Noch bevor die von der EU subventionierten Forschungsprojekte „Med-on-@ix“ und „TemRas“ starteten, wurden hier Rettungssituationen nachgestellt, bei denen er die Möglichkeit bekam, einen Notarzt per Funk zuzuschalten. „Da lag dann eine Hightech-Simulationspuppe im Raum, die unter anderem ferngesteuert sprechen konnte. Die neue Herausforderung war für mich die Kommunikation und Beschreibung des Geschehens mittels Handfunkgerät zum Arzt, der zwei Räume weiter saß“, sagt Guido. Er vergleicht das mit Szenen aus der US-Serie „Notruf California“. „Das waren meine ersten Eindrücke mit solchen Möglichkeiten. Sich die Freigaben für invasive Maßnahmen beim zugeschalteten Arzt einholen, das gab es bis dahin nicht in Deutschland“, sagt er.
Transportieren was man sieht
Im Januar 2021 wurde der Paragraph 2a des Notfallsanitätergesetzes angepasst. Bis zum Eintreffen des Notarztes oder bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen, auch teleärztlichen, Versorgung dürfen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter nun „heilkundliche Maßnahmen invasiver Art“ eigenverantwortlich durchführen, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von der Patienten oder dem Patienten abzuwenden. „Das ist die Kompetenz, um die wir in Deutschland schon seit Jahren ringen. Ich freue mich, dass wir mittels Telenotarzt aus der Ohnmacht erwachen, im Ernstfall handlungsunfähig zu sein“, sagt Guido.